Pseudografin®: Blog https://www.pseudografin.de/blog en-us (C) Pseudografin® [email protected] (Pseudografin®) Mon, 16 Mar 2020 07:20:00 GMT Mon, 16 Mar 2020 07:20:00 GMT https://www.pseudografin.de/img/s/v-12/u898838773-o221678054-50.jpg Pseudografin®: Blog https://www.pseudografin.de/blog 120 80 Wave Gotik Treffen - der große Metal-Festivalbericht vom 26. WGT in Leipzig https://www.pseudografin.de/blog/2017/6/wave-gotik-treffen--der-grosse-metal-festivalbericht-vom-26-wgt-in-leipzig Leipzig sieht zu Pfingsten schwarz :)

Nach dem großen Jubiläum im vergangenen Jahr ist 2017 wieder der „Alltag“ beim Wave Gotik Treffen in Leipzig eingekehrt. Was glücklicherweise nicht heißt, das sich große Ernüchterung breitmacht – ganz im Gegenteil. Auch dieses Mal kamen weit über 200 Künster nach Leipzig, die sich in einem guten Dutzend Hauptspielstätten und unzähligen Nebenschauplätzen präsentierten. Außerdem gab es erneut ein derart umfangreiches Kulturprogramm, dass man als Besucher seit letztem Jahr zwei Pläne ausgehändigt bekommt – einen für Konzerte und einen für alle anderen Veranstaltungen. Mit der Sonderlinie 32 wurde außerdem eine neue Verbindung zwischen dem Süden und dem Westen der Stadt geschaffen, wodurch es deutlich leichter wurde, vom Kohlrabizirkus oder dem AGRA-Gelände in die Plagwitzer Spielstätten (Felsenkeller und Täubchenthal) zu kommen.

 

Freitag

Das WGT beginnt man am besten mit einem gepflegten Frühschoppen – idealerweise in der Getränkefeinkost Leipzig, weil dort die Bierauswahl so klasse ist. Mit deutschen und internationalen Craftbieren sowie bayerischen und regionalen Spezialitäten konnte man hier fröhlich in den Tag starten. Offenbar hat sich die Adresse auch bis nach Übersee herumgesprochen, da sogar zwei kanadische WGT-Besucher vorbeikamen, um sich für die nächsten Tage einzudecken.

 

Nachdem wir am Nachmittag die Presseausweise abgeholt hatten, machten wir es uns im AGRA-Park gemütlich. Obwohl zum WGT ganz Leipzig von Schwarzen bevölkert wird, ist das AGRA-Gelände nach wie vor der Dreh- und Angelpunkt des Treffens – nicht zuletzt durch den angrenzenden Zeltplatz mit bis zu 10.000 Campern. Wie gewohnt bekommt man hier fast alles an Festivalverpflegung – von Rostbratwurst, Döner und Pizza über Handbrot und Fischbrötchen bis hin zu Gummibärchen und WGT-Zigaretten. Bier, Met und Cider dürfen natürlich auch nicht fehlen.

 

Als für uns erste Band des Abends enterte UMBRA ET IMAGO die Bühne. Das Szene-Urgestein trat bereits zum neunten Mal auf dem WGT auf und man muss leider hoffen, dass nicht mehr allzu viele Konzerte folgen. Bereits in den vergangenen Jahren litt die Performance zunehmend unter den Aussetzern von Frontmann und Kopf der Band Mozart. Bei einem vergangenen WGT-Auftritt wollte er über den Fotograben auf die Bühne klettern und musste sich von den Fotografen hochschieben lassen, weil er hilflos über der Kante baumelte. Mittlerweile geht man eigentlich nur noch hin um zu schauen, wie schlimm es diesmal wird. Wir wurden nicht enttäuscht. Mozart liest mittlerweile seine Texte ab und schafft es trotzdem, sie zu versemmeln und bei Klassikern der Band seinen Einsatz zu verpassen. Stimmlich war er ja noch nie der große Tenor, aber auch der Gesang nimmt langsam ungeahnt schauerliche Ausmaße an. Dem entsprechend herrschte Durchgangsverkehr in der Halle – die meisten kamen rein, blieben kurz als Schaulustige stehen und verschwanden dann wieder nach draußen. Dass bei Mozarts gepfefferten Wasserflaschenwürfen in die Menge niemand verletzt wurde, ist eigentlich das einzig Positive an diesem Auftritt gewesen.

Die WGT-Szenemesse in der AGRA-Markthalle hatte zwar über all die Jahre immer eine große Auswahl an Klamotten, CDs und Accessoires zu bieten, kämpfte aber zwischenzeitlich auch mit einer gewissen Eintönigkeit. Doch seit zwei Jahren lässt sich ein positiver Trend hin zu größerer Vielfalt feststellen, für die vor allem die Stände junger Künstler und Designer verantwortlich sind. Dieses Jahr erreichte diese Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt mit unzähligen Handmade-Kunststückchen.

DANI FILTH ist schon ein umtriebiger Typ. In beachtlicher Regelmäßigkeit haut er mit CRADLE OF FILTH seit über 20 Jahren Album um Album raus und scheint dennoch genug Ideen übrig zu haben, um mit DEVILMENT eine zweite Band groß rauszubringen. Nimmt man den WGT-Auftritt als Erfolgs-Indikator, stehen die Chancen aber mal richtig gut. Mit groovigen Riffs, markanten Hooks und Dani als gruseliges Springteufelchen zogen DEVILMENT eine schaurig-schöne Show ab, so dass sich trotz des vergleichsweise geringen Bekanntheitsgrads der Band die Halle zunehmend füllte. Passend zur Musik setzt Dani bei DEVILMENT verstärkt auf tiefe Growls, fieses Flüstern und angepisstes Gekeife. In Verbindung mit seinem Markenzeichen, den hohen Schreien, bot er hier seine ganze imposante Stimmvielfalt, die er bei CRADLE OF FILTH nicht in diesem Ausmaß zur Schau stellt. Ein starker Auftritt!

Samstag

Der zweite Treffentag begann mit zwei Ausstellungen im Leipziger Hauptbahnhof. Während die Steampunk-Ausstellung „Machina Nostalgica“ mit eher unaufregenden Exponaten hinter den Erwartungen zurückblieb, konnte die Ausstellung „Creators Of Legends - ein Tribut internationaler Künstler an HR Giger“ schon deutlich stärker überzeugen. Der Schöpfer der Alienkreatur aus der Filmklassikerreihe verstarb 2014 und inspiriert nach wie vor Künstler auf der ganzen Welt. Die ausgestellten Bilder demontrierten eindrucksvoll, wie verschiedene Künstler Gigers Werke als Grundlage mit eigenen Ideen verschmolzen und dadurch neue Werke schufen. Obwohl sich Gigers Schaffen wie ein roter Faden durch die Ausstellung zog, zeigte jedes Bild auch den eigenen Stil der teilnehmenden Künstler. Ein paar Beispiele kann man sich hier ansehen.

Ebenfalls mitten in der City liegt das Atelier Schreckenberger / Hermeling, eine temporäre Produzentengalerie von drei regionalen Künstlern. Dort erwartete uns die imposante Ausstellung „Popart trifft Surrealismus“, die neben den Werken der Atelierbetreiber auch die Werke anderer Künstler umfasste. Von beklemmenden Lost-Places-Fotos über bedrohliche Metallskulpturen bis hin zu schaurigen Graphitzeichnungen reichte die Bandbreite, so dass man ohne weiteres Stunden im Atelier verbringen konnte und immer wieder neue Details entdeckte. Besonders charmant: Die Streichholzreihe von Michael Schreckenberger .

Nach einem Wolkenbruch vollkommen durchnässt im Kohlrabizirkus angekommen, wo am Samstag traditionell der Metal regiert, staunten wir zunächst nicht schlecht. XANDRIA hatten wir sausen lassen – im Gegensatz zu hunderten WGT-Besuchern, die nach Ende des Auftritts am frühen Abend scharenweise nach draußen strömten und ein Hineinkommen in die Halle fast unmöglich machten. Offenbar ist Female-Fronted-Gothic-Metal beileibe nicht so tot wie ich dachte. Entsprechend leerer war es dann leider bei IN THE WOODS…, die sich nach der Reunion im vergangenen Jahr mit ihrem ersten Album in diesem Jahrtausend zurückgemeldet hatten. Mit ihrem Debut von 1995 galten sie seinerzeit als einer der Wegbereiter des eher introvertierten Black Metal. Erfreulicherweise haben die Norweger nicht die Lust an diesen Klassikern verloren, denn bereits als zweiter Song schallte „Heart of the Ages“ aus den Boxen und weckte wohlige Erinnerungen. Die Songs des aktuellen Albums reihten sich gut in die Setlist ein, lediglich der matschige Sound trübte das Konzerterlebnis.

Bei ROTTING CHRIST füllte sich die Bude wieder deutlich. Im Laufe der Jahre haben die Griechen ihren Stil zwischen Nackenbrecher-Rhythmen, düster-melodischen Riffs und mythologischen Einflüssen perfektioniert. In Kombination mit der elektrisierenden Bühnenpräsenz ist bei ROTTING CHRIST eigentlich jeder Auftritt ein geschmeidiger Selbstläufer. Die Band legte mit „Ze Nigmar“ los und ballerte sich durch einen gut sortierten Querschnitt ihres Schaffens – angefangen beim Evergreen „The Sign of Evil Existence“ bis zur Mitgröl-Hymne „Grandis Spiritus Diavolos“. Da kriegste selbst als Grufti gute Laune.

Als Headliner auf ROTTING CHRIST folgten AMORPHIS, die es von allen Metalbands vermutlich am besten schafft, in Metal- und Gruftikreisen gleichermaßen große Anerkennung zu genießen. Mit Ohrwurm-Melodien, die nie ins Plakative abdriften, und durchdachten Spannungsbögen haben sich AMORPHIS einen Namen gemacht, dem sie auch an diesem Abend mehr als gerecht wurden. Die Songauswahl lag erwartungsgemäß im Schaffen der letzten zehn Jahre, so dass neben „Under the Red Cloud“-Stücken auch Klassiker wie „The Smoke“ nicht zu kurz kamen. Die Finnen machen live einfach Spaß.

Sonntag

Das schöne am WGT ist, dass insbesondere beim Rahmenprogramm jedes Jahr neue Locations und Angebote dazukommen – manchmal sogar in unmittelbarer Nachbarschaft. Das Monopol Leipzig ist ein Zusammenschluss von Kreativschaffenden und gleichzeitig deren Treffpunkt und Arbeitsplatz. Die Räumlichkeiten im Leipziger Norden versprühen einen ursprünglichen industriellen Charme und man hat beim Betreten schon das Gefühl, hier willkommen und gut aufgehoben zu sein. In der Galerie fanden sich etliche eindrucksvolle Kunstwerke, vor allem das drei Meter große Porträt von RAMMSTEIN-Sänger TILL LINDEMANN sorgte für staunende Gesichter. Außerdem konnten sich Besucher vor einer liebevoll gestalteten Friedhofskulisse professionell ablichten lassen und ein schönes Andenken mit nach Hause nehmen. An einen kleinen Kreativmarkt mit handgefertigten Schmuckstücken grenzte sogar ein improvisiertes Tattoostudio an. Heimlicher Star war allerdings Galeriehund Oskar, der unbeeindruckt vom WGT-Trubel seine Streicheleinheiten einforderte.

Das Alte Rathaus in Leipzig wird schon seit über 100 Jahren nicht mehr als Sitz der Stadtverwaltung genutzt, sondern beherbergt seit 1909 das Stadtgeschichtliche Museum. Hier hat man sich viele Gedanken gemacht, wie man eine Reise durch die Geschichte der Stadt auch zu einer Erlebnistour für den Besucher gestalten kann. Mit einem ansprechenden Beleuchtungskonzept, durchdachter Wegeführung und intermedialen Exponaten wird es hier alles andere als langweilig. Qualitativ nicht mithalten konnte leider die Sonderausstellung, „Salon der Erinnerungen – Aus den Anfängen der Leipziger Szene“. Diese beschränkte sich weitgehend auf altes Filmmaterial, das man sich in Dauerschleife anschauen konnte. Nicht schlecht, aber verzichtbar.

Im Felsenkeller gaben UNLIGHT am frühen Nachmittag ihr WGT-Debüt. Mit seinem letzten Album „Antihelion“ hat das deutsch-schweizerische Gespann einen schönen Brocken Black Metal ins Rennen geschickt, der über weite Phasen Erinnerungen an die schwedischen Vertreter aus den 90ern aufleben lässt, ohne jedoch in einen Copy-Paste-Modus zu verfallen. Live hatten UNLIGHT das Problem, das die stilprägende Lead-Gitarre soundtechnisch ein Schattendasein fristete. So konnten die Songs leider nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen, wenngleich die Jungs eine gute Performance lieferten.

Der Biergarten vom Felsenkeller ist so gemütlich, dass man hier regelrecht versacken kann. Die tollen Burger und eine riesige Getränkeauswahl tun ihr Übriges. Manchmal sitzen am Nachbartisch NACHTBLUT, machen sich über UNLIGHT lustig („Die haben nur 3.000 Facebook-Likes, haha!“) und rotzen grölend auf den Boden. Das ist dann nicht so idyllisch, passiert aber zum Glück nicht oft.

Weiter ging es mit den Horror-Metallern von THE VISION BLEAK, deren aktuelles Album „The Unknown“ das wohl abwechslungsreichste in der Bandgeschichte sein dürfte. Der rasende Opener „From Wolf To Peacock” machte auch live als erstes Stück eine ganz hervorragende Figur, ebenso wie die Hymne „Into The Unknown“. Frontmann Ulf Theodor Schwadorf hat mittlerweile keine Matte mehr, aber die braucht er auch nicht, um die Show an sich zu reißen und nicht mehr aus den Fingern zu geben. Gebührend gefeiert wurden selbstredend insbesondere die Klassiker „Night of the Living Dead“, „Carpathia“ und „Kutulu“.

Dass ARCTURUS im Anschluss deutlich abgefahrener werden würden zeigte sich bereits, als die Musiker auf die Bühne kamen. Gitarrist Knut Magne Valle trug ein knallrotes mittelalterliches Gewand zur Schau, das optisch nicht so ganz zu den dunklen Klamotten seiner Kollegen passen wollte. Besucher, die ARCTURUS noch nicht kannten, dürften die Band auch musikalisch eher als anstrengend empfunden haben. Denn leichte Kost ist der Stil beileibe nicht, den die Norweger im Laufe der Jahre perfektioniert haben. Und so wurde auch der Auftritt eine avantgardistische Reise durch ein pompöses Klangbild zwischen Gefrickel und Geknüppel sowie Elektronik und Gitarren. Große Theatralik, die live aber nicht zu hundert Prozent zünden wollte.

Den Headliner im Felsenkeller WEDNESDAY 13 bekamen wir nicht mehr mit, da wir uns stattdessen auf dem Weg zum Volkspalast und ALCEST machten. Der Volkspalast ist mit seiner römisch angelehnten Architektur zweifelsohne die WGT-Konzertlocation mit dem schönsten Ambiente und bot den perfekten Rahmen für die Franzosen. Bereits nach dem ersten Song, dem Titeltrack des aktuellen Albums „Kodama“, waren Band, Location und Publikum zu einer Einheit verschmolzen. Ohne große Showeinlagen gingen ALCEST vollkommen in ihrem schwelgenden Post Metal mit gelegentlichen Ausbrüchen auf und dieser Intensität konnte man sich nur schwer entziehen. Definitiv eines der Highlights auf dem diesjährigen WGT.

Montag

Sucht man bei Spotify nach GOETHES ERBEN, wird unter „Ähnliche Künstler“ UMBRA ET IMAGO vorgeschlagen. Wie unsagbar abwegig das ist, zeigte sich auf dem WGT. Während Mozart nur noch eine Karikatur früherer Tage ist, demonstrierte OSWALD HENKE, dass man auch nach fast 30 Jahren noch auf extrem hohen Niveau künstlerisch aktiv sein kann. Im Haus Leipzig zelebrierte er eine Stunde lang Klassiker der GOETHES ERBEN-Historie, lediglich in Klavierbegleitung. Diese minimalistische Konzeption reduzierte die Stücke auf das Wesentliche: Henkes unverwechselbare und hypnotisierende Stimme. In dieser Konstellation wirkten Songs wie „Ich liebe Schmerzen“, „Vermisster Traum“ und „Kaltes Licht“ zerbrechlicher, aber auch viel intensiver. Henke sang und sprach sich in einen Rausch, der seine Klauen ins Hirn der Zuhörer bohrte. Am Ende gab es zurecht stehende Ovationen für das Duo.

Der Folk-Metal-Tag im Felsenkeller nahm einen eher ungewöhnlichen Anfang. Denn mit PERCIVAL begann eine Band, die den Metal zwar im Geiste trug, aber instrumental darauf verzichtete. Die Polen spielten flotten Folk und hatten sichtlich Spaß an ihrem Auftritt, doch bei den Besuchern sah man nur Fragezeichen in den Gesichtern. PERCIVAL wären im Heidnischen Dorf hervorragend aufgehoben gewesen, in den Felsenkeller passte das nicht wirklich.

Bei jedem WGT gibt es immer mindestens eine Band, von der man vorher noch nie etwas gehört hat und die einen live dann komplett wegpustet. Vorhang auf für WELICORUSS, vier sibirische Krieger, die ausreiten um Europa im Sturm zu erobern. In Leipzig trafen sie auf keinen nennenswerten Widerstand. Dank ihres mitreißenden symphonischen Black/Pagan Metal und einer packenden Performance schloss sich das Publikum ohne weitere Fragen zu stellen dem WELICORUSS-Kreuzzug an. Gitarrist Gojko und Bassist Dmitriy wetteiferten um die beste KISS-Impression des Abends, während beim charismatischen Frontmann Alexey nur noch der schwingende Morgenstern gefehlt hat. Große Klasse!

Nach so einem Highlight hat es die nachfolgende Band immer etwas schwerer. Dieses Los fiel FINSTERFORST zu, die aber tatkräftig ackerten, um ebenso positiv im Gedächtnis zu bleiben. Mit Erfolg: die energiegeladene Show und partytauglichen Hymnen trafen den Nerv der Fans, die jeden bierseligen Refrain mitgrölten und abfeierten. Die Schwarzwälder waren damit die richtige Band für alle, die sich zum WGT-Abschluss noch mal ordentlich einen hinter die Binde kippen wollten.

In eine ähnliche, aber weniger plakative Kerbe schlugen EQUILIBRIUM als Hauptact im Felsenkeller. Nicht ganz so sehr auf Party aus und stattdessen phasenweise eher aggro unterwegs gab das eine hervorragende Schnittmenge, bei der finstere Gesellen und Metjünger gleichermaßen auf ihre Kosten kamen. Entsprechend schnell erreichte die Stimmung ihren Höhepunkt, der bis zum letzten Akkord auch nicht abflachte. Vor allem „Born To Epic“, die vielbeachtete Hymne vom neuen Album, hat ihre Live-Tauglichkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ein würdiger Ausklang für das diesjährige WGT.

Für die Zugabe musste man nicht weit reisen: Im Naumanns, einem kleinen Club in den Räumlichkeiten des Felsenkellers, gab es endlich mal eine Metal-Party im Rahmen des WGT. Der DJ fuhr eine schöne Nostalgieschiene mit Thrash und Black Metal aus den 90ern. Nach und nach füllte sich der Club, so dass durchaus Hoffnung auf eine Fortsetzung im kommenden Jahr besteht. Nach zwei Bier mussten wir uns trotzdem den viertägigen Strapazen geschlagen geben und heimfahren – man ist halt keine 25 mehr.

Eigentlich ist es fast unnötig zu erwähnen, dass das WGT auch in diesem Jahr wieder hervorragend organisiert war, tolle Bands umfasste und ein prall gefülltes Rahmenprogramm auf die Beine stellte. Nicht minder lobenswert zeigten sich einmal mehr die Leipziger, die die alljährliche Grufti-Invasion mit einem Lächeln auf den Lippen zur Kenntnis nahmen und das Schwarze Treiben neugierig beobachteten.

Nachdenklich macht eigentlich nur ein Interview, das OSWALD HENKE der Leipziger Volkszeitung gab und dessen Beobachtungen ich uneingeschränkt unterschreiben kann. Henke merkte an, dass der Altersdurchschnitt der Schwarzen Szene stetig ansteigt und kaum Nachwuchs kommt. Gleiches gilt für die Bands, zumindest im traditionellen Gothic-Sektor. Denn viele namhafte Künstler aus diesem Bereich haben schon ein sehr betagtes Alter erreicht – ob diese in zehn Jahren noch live auftreten, ist eher fraglich. Das WGT als Festival kann daran herzlich wenig ändern, ist es doch am Ende lediglich eine Plattform, die mehr oder weniger bekannten Künstlern eine Bühne gibt. Insofern kann man nur hoffen, dass die Szene gerade nur eine schwierige Phase durchmacht und sich wieder fängt – damit auch das WGT diese schwarzbunte Vielfalt noch viele Jahre aufrecht erhalten kann.

 

Fotos: Katja Wisotzki

Text: Felix Wisotzki

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[email protected] (Pseudografin®) https://www.pseudografin.de/blog/2017/6/wave-gotik-treffen--der-grosse-metal-festivalbericht-vom-26-wgt-in-leipzig Fri, 30 Jun 2017 15:17:00 GMT
Die Mutter aller Lost Places – 4 Tage in der Sperrzone von Tschernobyl https://www.pseudografin.de/blog/2016/7/die-mutter-aller-lost-places-4-tage-in-der-sperrzone-von-tschernobyl

Ich kann nicht erklären, warum es so ist, aber ich bin der Faszination des Verfallenen und Maroden erlegen. Die meisten Ruinen wirken auf mich gleichzeitig furchteinflößend und wunderschön. Ich lausche den Geräuschen, die es entweder nicht gibt oder die so anders sind, als an anderen Orten: Das Klappern der zerstörten Fenster bei jedem Windhauch, das Knarzen der Balken. Ich bilde mir ein, die Farbe von den Wänden blättern zu hören. Warum sind diese Orte sich selbst überlassen worden? Wer hat hier gelebt oder gearbeitet? Ganz egal was passiert ist, die Natur ist der Gewinner und vereinnahmt sämtliche Hinterlassenschaften der Menschen. Eigentlich unvorstellbar, dass jemand davon nicht fasziniert ist.

Meine Sicht auf diese Orte festzuhalten beschäftigt mich, seit ich die Fotografie für mich entdeckt habe. Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich nicht auf ein Genre der Fotografie festlegen kann und will. Doch die Lost Places begleiten mich Jahr für Jahr, ob bei einer Tour mit Fotofreunden oder bei Modelshootings.

Viele Jahre war es mein großer Traum, die Sperrzone von Tschernobyl fotografisch zu erkunden. Im Mai 2016 erfüllte ich mir nach langem Zögern von anderthalb Jahren diesen Wunsch. Mein Fotofreund Matthias Hellebrandt war bereits ein Jahr zuvor in Tschernobyl und ich bereute damals, dass ich ihn nicht begleitet hatte. Zum Glück wollte er noch einmal diese Abenteuerreise wagen! So war ich in meiner Aufregung nicht ganz allein.

Vorweg möchte ich Lost & Found Explorers meinen Dank aussprechen. Ich habe mich während der gesamten Reise gut betreut und sehr sicher gefühlt und werde sicher wieder eine Fototour buchen.

Unsere 14-Mann-Fotoexpedition startete in Berlin. Mit einem Kleinbus ging es mit eintägigem Aufenthalt in Kiew nach Tschernobyl. Anfangs erkundeten wir die 30-km-Zone rund um das Kraftwerk: Dörfer, Kolchosen, Schrottplätze, Fabriken. Diese Orte wirken auf den ersten Blick friedlich und verwunschen. Das fotografische Auge findet keine Ruhe, die „Motivklingel“ läutet unentwegt. Taucht der Blick jedoch tiefer in die Szenerie ein, wird einem das Grauen von damals bewusst: Im Postamt von Krasne hängt ein Kalender von 1986, Postkarten mit 1.-Mai-Motiven wurden verkauft. Auf dem Schrottplatz befindet sich ein Teil der Busse, mit denen damals 50.000 Menschen innerhalb von 2 Stunden evakuiert wurden.

Prypjat, die verlassene Stadt, sieht aus wie ein Urwald. Ehemalige Prachtstraßen sind nur noch schmale Gassen. Die belaubten Zweige, nass vom Regen, streifen während der Fahrt ins Zentrum immerzu den Kleinbus, es fühlt sich an wie ein Trip in das Herz der Finsternis. Hier und da schauen die obersten Stockwerke der Wohnhäuser zwischen den Bäumen hervor.

Unsere Tour führte uns zu zahlreichen Stationen in der Stadt, beispielsweise Hotel, Kulturhaus, Schule, Schwimmhalle, Krankenhaus, Stadion und Rummelplatz, um hier nur die wichtigsten zu nennen. Insgesamt legten wir während des viertägigen Aufenthalts 500 km per Bus in der Sperrzone zurück. Dazu kamen die täglichen Fußmärsche von ca. 10 km, die nicht nur waagerecht erfolgten: Vom Dach eines 16-geschössigen Wohnhauses konnten wir uns einen Überblick von Prypjat über das Kraftwerk bis zur Radarstation verschaffen.

Das alles zu sehen und zu fotografieren hat mich sehr bewegt. Kaum zu fassen war für mich jedoch der Anblick eines Kindergartens, den wir besuchten. Ich kannte vorher schon viele Bilder davon, die unfassbar traurig sind. Das alles jedoch selbst zu sehen war für mich nur schwer zu ertragen. Sicherlich hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt durch die vielen Eindrücke schon allerhand Emotionen angestaut, im Kindergarten war es jedenfalls vorbei mit der Selbstbeherrschung. Und ich war nicht die einzige Mitreisende, der es so ging.

Meine Bilder schaue ich mir mit gemischten Gefühlen an. Einerseits bin ich froh, mir diesen Traum erfüllt zu haben, andererseits bin ich der Meinung, meine Bilder können nicht wiedergeben, wie es sich anfühlt, in der Sperrzone zu sein. Diese Katastrophe hat für eine nicht bestimmbare Anzahl von Menschen unsagbar viel Leid gebracht. Ich wünsche mir von Herzen, dass sich das nicht ein drittes Mal wiederholt.

 

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[email protected] (Pseudografin®) https://www.pseudografin.de/blog/2016/7/die-mutter-aller-lost-places-4-tage-in-der-sperrzone-von-tschernobyl Sat, 30 Jul 2016 15:55:00 GMT